So kam´s
Seitdem die Franzosen Ende der siebziger Jahre die Kaserne verlassen hatten (s. Geschichte), befand sich die Schellingstrasse 6 im Besitz der Bundesrepublik Deutschland. Im Anschluss an die Besetzung im Jahre 1980 hatte der Bund Grundstück und Gebäude preiswert an das Studentenwerk Tübingen (A. d. ö. R.) vermietet.
Zusätzlich errichtete das Stuwe im Rahmen seines Pachtverhältnisses im Jahr 1982 zwei Häuser auf dem Gelände: in Fertigleichtbauweise mit Einzelzimmer- (Studentenwohnheim-) Charakter. Sein Verhältnis zu den nun über 100 BewohnerInnen war mit befristeten Einzelmietverträgen und einer Kündigungsfrist von 14 Tagen besiegelt. Das Studentenwerk boykottierte und ignorierte somit auf jeglicher Linie die ursprüngliche Idee der BesetzerInnen vom sozialen, gemeinsamen und bunten Wohnen „in der Schelling“.
Trotz des auferlegten Wohnheimcharakters waren die Häuser in den vergangenen Jahren jedoch stets zu 100 Prozent gefüllt. Denn die Idee war stärker: Die Wohneinheiten wuchsen zu WGs zusammen – auch in den neuen Häusern. „Die Schelling“ stärkte ihr Innenleben mit eigener Hausbar und gemeinsamem Garten als Orte der Kommunikation. Sie organisierte sich selbst. Das waren zugleich ideale Voraussetzungen für das Studentenwerk, um dieses Engagement zu einem gewinnbringenden Geschäft zu machen. Investitionen blieben hingegen aus. Die Häuser rotteten vor sich hin, weil sich Bund und Stuwe gegenseitig die Verantwortung zuschoben. So waren jegliche Sanierungsmaßnahmen seit dem Jahre 1980 aus geblieben, was dem unter Denkmalschutz stehenden Kasernengebäude erheblich zusetzte.
Die BewohnerInnen ihrerseits waren des jahrelangen Kleinkrieges mit dem Stuwe längst überdrüssig – ein schwelender Streit, der die Eigeninitiative lähmte und Unzufriedenheiten schaffte.
Die Nachricht des Bundes über seine Verkaufsabsichten kurz vor Weihnachten im Jahre 1999 bot deshalb Überraschung und Chance zugleich: Was machen wir denn jetzt? – Endlich wirkliche Selbstverwaltung für die Schelling!
Nächtelange Diskussionen, engagiertes Arbeiten, das Aufbauen der Projektstruktur und vielfältige Verhandlungsgespräche liefen auf Hochtouren. Wir standen bald bereit zur Übernahme – hätte es nicht noch andere Beteiligte gegeben, die immer und immer wieder ein Wort mit (bzw. dagegen) zu reden hatten.
Mit Abstand an aller erster Stelle der Widerstände plazierte sich das Studentenwerk – als nicht enden wollender Widersacher: Nach fast jahrelanger Verweigerung des Stuwe, sich mit den „Schellings“ überhaupt ins Gespräch über eine Nachfolgeregelung zu setzen oder gar das inzwischen sorgfältig ausgeklüngelte Konzept wahrzunehmen, konnte nur die Kündigung des Pachtverhältnisses durch den Bund ein bisschen Bewegung in die Sache bringen. Denn das Stuwe hatte (in seiner Pächterzeit) die zwei Nebenhäuser auf das Gelände gebaut – ohne aber das dazu gehörende Grundstück zu besitzen. Diese sogenannten “Nebengebäude” hätten im Zuge der Kündigung des Pachtverhältnisses durch den Bund eigentlich bis zum 31.12.2003 abgerissen werden müssen.
Das Wohnprojekt Schellingstraße hatte bis dahin schon lange angeboten, die Häuser zu übernehmen und dem Stuwe-Haushalt somit die Abrisskosten zu ersparen. Doch der Geschäftsführer in der Wilhelmstrasse beharrte trotzig auf seinem Verkaufpreis von 500.000 Euro – wohlgemerkt für längst abgeschriebene und amortisierte Häuser, die ursprünglich nur auf 15 Jahre konzipiert waren und über denen bereits die Abrissglocke hing. Und die nicht mal mehr eine (gültige) Baugenehmigung besaßen, wie sich kurz vor Vertragsabschluss noch heraus stellen sollte.
Ansprüche stellte auch die Investorengemeinschaft, die im restlichen Thiepval-Areal investiert hatte. Diese hatte mit der Stadt Tübingen eine Vereinbarung getroffen, nach der die Anlieger einen Anteil für die Sanierung des Exerzierplatzes vor der Infanteriekaserne bezahlen sollten. 200.000 Euro (anfangs war sogar von einer halben Million die Rede) sollte die Schellingstrasse für Nachbars Garten bluten. Die fehlende Rechtsgrundlage jedoch sprach für uns. Inzwischen hatten wir dann auch zahlreiche VertreterInnen der Stadtverwaltung, GemeinderätInnen und BürgermeisterInnen von unserer Idee überzeugt, so dass nun auch der Druck auf das Studentenwerks mit seiner weiter andauernden Blockadepolitik stieg. Im Frühjahr 2004 gelang – dank einer intensiven und offenen Informationspolitik gegenüber der Stadt und den Mitgliedern des Verwaltungsrats des Studentenwerks – die mündliche Einigung mit dem Geschäftsführer des Studentenwerks auf eine Kaufpreissumme von 100.000 € für die besagten Nebengebäude. Auch wenn die Reaktion auf den Kaufvertragsentwurf der Schellings von seiten des Geschäftsführers des Stuwe erneut ausblieb, er stattdessen ungerechtfertigte Mahnbescheide und Klagedrohungen ins Wohnprojekt schickte, war das Ziel nun greifbar. Mit dem Bund war das Wohnprojekt Schellingstrasse über Erwerb des Geländes und des Hauptgebäudes längst handelseinig. Neben zahlreich eingegangenen Direktkrediten, stand inzwischen auch der Bankkredit bereit.
Letztendlich half nur massivster Druck von seiten des Verwaltungsrates um den Geschäftsführer des Studentenwerks zur Vertragszeichnung zu bewegen. Auch durch das völlig irrsinnige Einschalten des Landesrechnungshofes sowie eine Flucht in den Urlaub konnte er den Abschluss schließlich nicht mehr verhindern.
Und so kam – nach nahezu 5 Jahren intensivster Arbeit – der große Tag der Übernahme: Am 18.08.2004 um 17 Uhr wurde im Garten des Wohnprojekts Schellingstraße in Anwesenheit des Notars und einem Vertreter der Bundesvermögensamtes der Kaufvertrag geschlossen.
Endlich gehörte die Schelling denen die drin wohnen.